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Der Frust mit der Bürokratie

In der EU, insbesondere in Deutsch­land, wird über­bor­dende Büro­kra­tie be­klagt. Dabei geht es nicht nur um den hohen büro­kra­ti­schen Auf­wand, son­dern auch um Über­regulie­rung, Intrans­pa­renz und ineffi­ziente Ab­läufe.

Viele Branchen leiden unter übermä­ßi­gen Dokumen­tations­pflichten, z.B. im Gesund­heits­wesen, Bau­wesen und Land­wirt­schaft. Durch die Dokumen­tations­pflichten geht ein großer Teil der Arbeits­zeit mit dem zusätz­li­chen Aus­fül­len von Formu­la­ren drauf, worauf nie­mand Lust hat.

Anforde­run­gen, die einem über­flüs­sig zu sein schei­nen, werden als Gänge­lung empfun­den und schüren auch Wut auf den Staat. Für den Betrof­fenen ist es auf jeden Fall eine Zeit- und Ressourcen­verschwen­dung, zudem lenkt es den Fokus von der eigent­li­chen Arbeit ab. Die Produk­tivi­tät sinkt.

Auf Ämtern gibt es lange Bearbeitungs­zeiten, z.B. bei Bau­anträ­gen, Visa, Eltern­geld, Wohn­geld etc. Die Folgen sind Ver­zögerun­gen bei Projekten, Frustra­tion bei Bürgern und Unter­nehmen - und auch in den Ämtern!

Die Regelungsdichte steigt und es gibt klein­teilige Vor­schrif­ten bei Bau­vorha­ben, Umwelt­aufla­gen oder Sicher­heits­vorga­ben. Das Steuer­recht ist lange be­kannt für seine zahl­losen Aus­nah­men. Deswei­te­ren gibt es wider­sprüch­liche Zustän­dig­kei­ten und kompli­zierte Antrags­verfah­ren. Deshalb be­nöti­gen Bürger und Betriebe oft externe Hilfe, um Vorga­ben über­haupt zu ver­ste­hen, korrekt zu be­antra­gen und rich­tig um­zu­setzen.

Und durch den Rückstand in der Digi­tali­sie­rung in Deutsch­land, müs­sen viele Behörden­gänge immer noch per­sön­lich und mit Papier­formula­ren er­ledigt wer­den, ob­wohl digi­tale Lösun­gen tech­nisch mög­lich wären, die in ande­ren Ländern schon seit Jah­ren um­gesetzt und ver­füg­bar sind.
Enttäuschende Entlastungsgesetze

In Deutschland gibt es bereits vier Bürokratie-Entlastungs­gesetze (2016, 2017, 2020, 2024). Trotzdem scheint es keine spür­bare Ent­las­tung zu geben. Ganz im Gegen­teil: In den letz­ten Jah­ren wurde eine Zu­nahme der Be­las­tung be­klagt.

Das erste Bürokratie­entlastungs­gesetz (BEG I) trat 2016 in Kraft. Es hatte den Büro­kratie­abbau insbe­son­dere für kleine Unter­neh­men als Ziel. Dies betraf im Wesent­lichen die Buch­führungs­pflicht: Die Schwellen­werte für Umsatz und Gewinn wur­den ange­ho­ben. Normalgroße Unter­neh­men haben davon jedoch nichts, nichtmal z.B. Ein-Perso­nen-GmbHs profi­tie­ren davon.

Das zweite Entlastungs­gesetz (BEG II) trat 2017 in Kraft. Hierbei ging es wieder um kleine und mitt­lere Unter­neh­men (KMU). Z.B. wurde die Klein­betrags­grenze für Rech­nungen ange­hoben. Das hat aber in der Reali­tät keine Aus­wir­kung, denn für andere Rech­nun­gen müs­sen die Pflicht­anga­ben sowieso ge­macht werden.
Das BEG II unter­stützte auch die Digi­tali­sie­rung, aber ins­beson­dere nur bei der Ab­rech­nung von Pflege­leistun­gen. Also wieder kaum oder gering­ste Vor­teile für die meis­ten Branchen.

BEG III trat 2020 in Kraft. Die Arbeits­unfähigkeits­bescheini­gung (AU) auf Papier („gelber Schein“) wurde 2022 durch ein elek­troni­sches Melde­verfah­ren er­setzt (eAU). Desweite­ren geht es im Gesetz wieder um Kleinst-Unter­nehmen.
Das vierte Entlastungs­gesetz (BEG IV) trat 2024 in Kraft. In über 25 Fällen werden Schrift­form-Erforder­nisse ab­gebaut. Die Aufbewah­rungs­fristen für steuer­liche Belege werden von zehn auf acht Jahre ver­kürzt. Letzte­res bringt jedoch keine Arbeits­entlas­tung, denn die Belege sind ja bereits er­stellt und be­reits archi­viert, bzw. sind weiter­hin zu er­stel­len und zu archi­vieren.

Insbesondere vom Mittelstand werden die ver­sproche­nen "Entlas­tun­gen" als Ent­täu­schung wahr­genom­men. Unter­nehmen berich­ten, dass die von der Poli­tik groß ange­kündig­ten Er­leichte­run­gen „in der Praxis kaum spür­bar“ sind.

Die Entlastungen betreffen häufig nur kleinere Detail­regelun­gen, aber nicht die grund­legenden büro­krati­schen Probleme wie die vielen Berichts­pflich­ten, unüber­sicht­liche Melde­pflich­ten oder die komplexe Steuer- und Sozial­gesetz­gebung. Es fehlt an einer ganz­heit­lichen Moderni­sie­rung staat­li­cher Pro­zesse, dabei auch die Digi­tali­sie­rung.

Während Entlastungen ange­kündigt wurden, wur­den gleich­zei­tig neue Pflich­ten ein­ge­führt, z.B. die Daten­schutz-Grund­verord­nung (DSGVO 2018), das Liefer­ketten­sorgfalts­pflichten­gesetz (LkSG 2023), das Platt­formen-Steuer­transparenz­gesetz (PStTG 2023), EU-Berichts­pflichten wie CSRD (2024), diverse ESG-Vorga­ben (2014 bis 2023), das NIS2-Umsetzungs­gesetz 2025 und CSDDD ab 2027. Unterneh­men em­pfin­den die angeb­liche "Ent­las­tung" als zynisch.
Bürokratie-Abbau vorläufig gescheitert

Von 430 Vorschlägen aus der Wirtschaft zum Büro­kratie­abbau wur­den nur 11 in das vierte Ent­lastungs­gesetz auf­genom­men. Der Staat steht vor dem Dilemma zwischen dem dringen­den Wunsch nach weni­ger Büro­kratie und dem gleich­zeiti­gem gesell­schaft­lichen und poli­ti­schen Druck für eine gerech­tere Ver­tei­lung, mehr Ver­braucher­schutz, Umwelt­schutz und Nach­haltig­keit, Daten­schutz, Arbeit­nehmer­schutz und ande­ren Themen. Durch den Wunsch nach Gerechtig­keit ohne Schlupf­löcher steigt nicht nur die Menge, sondern auch die Komplexi­tät der Regu­lie­rung.

Der Justizminister sieht das Problem aber auch im Voll­zug: „Viele Bürger und Betriebe nervt ja nicht nur, was im Gesetz steht, sondern auch die Art und Weise, wie die Gesetze von den Behör­den voll­zogen werden.“ Selbst wenn beste­hende Gesetze nach­träg­lich verein­facht werden, kann die prak­tische Umset­zung in den Behör­den weiter­hin kompli­ziert bleiben. Außen kommt die Ver­ein­fachung nicht an.

Besteht Hoffnung auf einen effekti­ven Büro­kratie­abbau? Ja viel­leicht. Eine große Hürde ist, dass Büro­kratie­abbau nicht zum Abbau berech­tig­ter Schutz­interes­sen füh­ren soll, denn die sind eine Grund­lage für demo­kra­ti­sche Rechts­staat­lich­keit. Im Allge­mei­nen dienen Rege­lun­gen dem Schutz von All­gemein­wohl, Grund­rech­ten und öffent­lichen Gütern. Wenn sinn­volle Regeln im Zuge eines Büro­kratie­abbaus ver­wäs­sert werden, kann dies für die ganze Gesell­schaft gravie­rende nega­tive Folgen haben.

Beispiele aus der Vergangen­heit zeigen, dass Skandale und Katas­tro­phen oft dort ent­stan­den, wo staat­liche Kontrol­len ver­sagt oder ge­fehlt haben. Ein effekti­ver Büro­kratie­abbau sollte also nicht pauschal irgend­welche Vor­schrif­ten ab­schaf­fen, son­dern gezielt über­flüs­sige, wider­sprüch­liche oder veral­tete Regelun­gen identi­fi­zie­ren, Prozesse ver­ein­fachen, digi­tali­sie­ren und be­schleu­ni­gen - möglichst ohne dabei die Schutz­standards zu senken.
Seitdem das Internet end­lich kein Neu­land mehr ist, liegt die große Hoff­nung in der Digi­tali­sie­rung. Inzwischen sind die Vor­teile sogar in den Köpfen alter Leute und Politi­ker ange­kom­men. Bürger, Unter­neh­men und Verwal­tun­gen fordern zu­nehmend prakti­kable, digi­tale Lösun­gen. Und so sind Büro­kratie­abbau und Digi­tali­sie­rung inzwi­schen zu einem brei­ten poli­ti­schen Konsens ge­wor­den - über alle Partei­grenzen hinweg.

Digitale Verwaltungs­prozesse können viele büro­kra­tische Lasten ab­bauen, ohne dabei gute Standards zu ver­lie­ren. Beispiele sind: Online-Anträge (bitte maximal benutzer­freundlich umge­setzt), einheit­liche Platt­formen und das "Once Only"-Prinzip, d.h. Daten müssen nur ein­mal ange­geben werden. Außerdem braucht es schnelle, digi­tale Abläufe inner­halb der Ver­wal­tung.

Aber Digitalisierung ist kein All­heil­mittel: Wenn man einen ver­korks­ten Prozess digi­tali­siert, hat man einen digi­talen ver­korks­ten Prozess. Es geht also oft nicht nur um die Digi­tali­sie­rung und um weni­ger Regeln, sondern um bes­sere Regeln und bes­sere Ab­läufe, z.B. die Standardi­sie­rung von Formu­la­ren bundes­weit oder sogar EU-weit, der Weg­fall von Doppel­meldun­gen an ver­schie­dene Behör­den, ver­ständ­liche Erläu­terun­gen und das Klar­stellen unkla­rer Rechts­begriffe.

Also bitte Einfach­heit, Rechts­klar­heit und Praxis­tauglich­keit anstelle vor­eili­ger Deregulie­rung - und das Ganze dann in Kombi­na­tion mit benutzer­freund­licher Digi­tali­sie­rung. Das ist die nächste große Auf­gabe, wofür es eines gemein­samen poli­ti­schen Willens bedarf.